„Dänen in Lübeck 1203 · 2003“

Veranstalter
Hansestadt Lübeck; Storstrøms Amt
Ort
Næstved
Land
Denmark
Vom - Bis
05.03.2004 - 02.05.2004

Publikation(en)

Gläser, Manfred; Mührenberg, Doris für die Hansestadt Lübeck sowie von Palle Birk Hansen für das Storstrøms Amt (Hrsg.): Dänen in Lübeck 1203 · 2003. . Lübeck 2003 : Schmidt-Römhild Verlag, ISBN 3-7950-1257-0 € 13,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Rüdiger, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Geschichte begann vor achthundert Jahren mit einem Einzug. „...[So] kam König Waldemar im August mit großem Gepränge und von einer unzähligen Menge begleitet nach Lubeke, wo er mit großer Freude als König der Dänen und Slawen und als Herr von Nordelbingen begrüßt ward.“ 1 Das ist keine besonders ungewöhnliche Aussage für eine hochmittelalterliche Chronik, und Arnold von Lübeck hatte auch keinen Anlass, den Empfang, den seine Stadt dem König Waldemar II. („dem Sieger“) 1203 bereitete, als ungewöhnlich darzustellen. Gewiss wäre es ihm und den Lübeckern nicht in den Sinn gekommen, dass mit diesem Tag eine Periode der „Fremdherrschaft“ begann, in der die Städter unter dem „dänischen Joch“ seufzten. Und doch sind es diese Begriffe, in denen die deutsche Geschichtsschreibung die Zeit des Übergang der Länder „nördlich von Elbe und Elde“, also der Gebiete Holsteins, Mecklenburgs und Pommerns, vom Reich an Dänemark (formell 1214) zumeist berichtet hat. Differenzen zwischen dem König und den nordelbischen Großen führten dazu, dass die dänische Oberherrschaft im regnum Slavorum schon bald ins Wanken geriet und mit der Schlacht von Bornhöved 1227 zusammenbrach. Das machte das dänische Ostseereich post factum zur Episode in der Geschichte des künftigen Norddeutschland.

Vielleicht wird die Ausstellung „Dänenzeit in Lübeck 1203 · 2003“, die kürzlich im Burgkloster zu Lübeck gezeigt wurde und die demnächst noch einmal im seeländischen Næstved zu sehen ist, eines Tages als ein Wendepunkt in diesem Narrativ erscheinen. Denn wenn sich auch die Forschung zumindest in Teilen längst von derartigen Deutungsmustern verabschiedet hat, so ist es im Bereich öffentlichkeitswirksamer Geschichtsdarstellung doch gewiss auch 2003 noch eine Provokation, dass diese Ausstellung von „Lübeck, der größten Stadt Dänemarks“ zu berichten verkündet.2 Und man darf annehmen, dass die Provokation durchaus bewusst gesetzt ist. Denn ein Motiv durchzieht die Ausstellung und die begleitende Buchpublikation: Das Vierteljahrhundert, in welchem die junge Stadt an der Trave praktisch wie formal zum dänischen Königreich gehörte, war ihre erste „Boomphase“ und schuf die Grundlage für ihre künftige Stellung als Handelsmetromole des Ostseeraums und Vorort der Hanse. Es war nicht die Stagnationsphase, als welche die deutsche Stadtgeschichts- und Hanseforschung die Zeit zwischen 1202/03 und 1226/27 gerne geschildert hat: bestenfalls ein belangloses Intermezzo zwischen den stürmischen Jahren der Stadtwerdung ab 1143 unter den Schauenburger Grafen von Holstein und Heinrich dem Löwen, mit freundlicher Duldung durch Barbarossa, und Lübecks rasantem Aufstieg zur führenden deutschen Stadt im Ostseeraum, kaum dass Friedrich II. ihr 1226 die Reichsfreiheit verliehen hatte.

Es handelt sich hier nicht um kosmetische Akzentverschiebungen eines rhetorischen Postnationalismus. Es geht an die Substanz: Ausstellung und Katalog machen deutlich, dass die nationaldeutsche Perspektive selbst auf die Deutung der Bodenfunde durchgeschlagen habe: Die entscheidenden Phasen der Stadtentwicklung und die frühen Großbauten sind lange um einige (in dieser Hinsicht wesentliche) Jahre zu spät datiert worden 3. Das liest sich nunmehr ganz anders. Die Ummauerung der Flußhalbinsel zwischen Burg und Domkirche zu einem Ensemble; die planmäßige Aufschüttung der Flußufer um bis zu acht Meter mittels eines grandiosen Rostsystems aus horizontal verlegten Hölzern, durch welche die Siedlungsfläche um ein Drittel wuchs und die heutige Kontur der Lübecker Altstadt erreicht wurde; die Anlage der meisten großen Stadtkirchen (und unter anderem der Holstenbrücke, die die Anlage des späteren bekannten Holstentores vorbereitete); die Verlängerung des Hafenkais auf das Zehnfache (2 km!); die Anlage des heutigen Marktes, die Ausbildung des Rates, ja selbst das so ehrwürdige Lübische Recht – all das fällt in jenes erste Viertel des 13. Jahrhunderts, da ein königlicher Vogt in dem neu errichteten Palas der Königsburg am Nordrand der Stadt saß.

Nach der Schlacht von Bornhöved 1227 überließen die Lübecker die Königsburg zum Gottesdank den Dominikanern. Das so entstandene „Burgkloster“, heute städtisches Kulturzentrum, ist somit nicht nur Ort der Ausstellung, sondern zugleich ihr größtes Exponat. Die übrigen Stücke stammen überwiegend aus lübischen und süddänischen Sammlungen. Einige davon sind auch für sich selbst unbedingt sehenswert (der Stralsunder Friede von 1370, wikingerzeitlicher Schmuck und frühe dänische Kirchenkunst); das Sehenswerte an der Ausstellung ist aber vor allem, wie sie ihre Exponate zu einem Narrativ zusammenfügt, ohne ihnen selber die Dignität des Einzigartigen zu nehmen und sie zum Exempel zu degradieren. Im Grunde ist es die Eleganz dieser Erzählung, die die Lübecker Schau zu einem bedeutsamen Ereignis macht. Denn das neue Bild der frühen Stadtgeschichte, das sich aus der oben kommentierten Perspektivenveränderung in Verbindung mit den beträchtlichen Fortschritten der Grabungen in den letzten fünfzehn Jahren ergeben hat, liefe Gefahr, außerhalb von Fachkreisen gar nicht wahrgenommen zu werden, würde es nicht in einen bedeutungstragenden Kontext eingefügt.

Um dies demonstriert zu bekommen, muss man im selben Museum nur eine Treppe hinuntergehen und sich die Präsentation des großen Münzfundes von 1984 ansehen. In chronologischer Reihe stehen hier Münzen Heinrichs des Löwen und Friedrich Barbarossas vor der „Übernahme der Stadtherrschaft durch Friedrich II.“ 1226. Oben dagegen, in der Ausstellung, setzt die Erzählung mit der Wikingerzeit ein, mit Fokus auf die süddänischen Inseln, und schwenkt dann zum frühen (slawischen) Lübeck, das auf diese Weise als Teil des dänisch-slawischen Kontinuums in der westlichen Ostsee erscheint. Dies ist gewiss ein Bild, das dem derzeit couranten Stand der Forschung entspricht 5 und das von den die Ausstellung mittragenden Museen im Amtskreis Storstrøm auch seit geraumer Zeit forciert vermittelt wird 6. Dem von der „deutschen Ostsiedlung“ geprägten Geschichtsbild vieler Besucher dürfte es aber dennoch fremd sein. Es folgen die Nahschau auf die Ereignisse von 1202/03, die Darstellung der „Boomzeit“ Lübecks und das Ende der dänischen Herrschaft in Nordelbingen, das (wiederum in Einklang mit der neueren Forschung, aber im Gegensatz zu wohletabliertem regionalem ,Geschichtswissen‘) als Ergebnis interner Kontingenzen erscheint. Die früher so zentrale Erlangung der Reichsfreiheit 1226 wird maßstabsgerecht reduziert auf die Sorge der bisherigen Königsstadt vor künftigen Ansprüchen der zurückgekehrten Schauenburger Grafen von Holstein; Welfen und Staufer erscheinen (abgesehen natürlich von Heinrich dem Löwen) ansonsten höchstens einmal als „äußere Bedrohung“ 7. Zwei Sektionen zu lübisch-dänischen Kontakten im späteren Mittelalter und der Neuzeit sowie zur nationalen Geschichtsmythenbildung im 19. und 20. Jahrhundert beschließen die Ausstellung.

Der im Buchhandel erhältliche Katalog macht die Ausstellung auch für die, welche sie in Lübeck versäumt haben und auch für das kommende Frühjahr keinen Dänemarkurlaub planen, nacherlebbar. Zudem bietet er, durchweg zweispaltig deutsch/dänisch präsentiert, einen Überblick über den derzeitigen Stand der regionalen historischen und archäologischen Forschung, was umso verdienstvoller ist, als gerade auf dieser Ebene die Sprachbarriere selten überwunden wird. Dem deutsch lesenden Publikum wird so ein Einblick in die Arbeit der (im dänischen System seit den 1970er Jahren staatlicherseits mit der Arealforschung und ihrer Präsentation betrauten) lokalen Museen in Lolland-Falster und Südseeland vermittelt, ebenso wie die jüngeren Ergebnisse der Lübecker Siedlungsarchäologie hier vermutlich erstmals zusammenfassend in skandinavischer Sprache greifbar sind. Vor allem aber fixiert der Katalog – und dies namentlich in den vier Beiträgen von Doris Mührenberg (Lübeck), deren Elan das Projekt offenkundig seinen Charakter verdankt – das neue Bild der „Dänenzeit“ als erster Blütezeit der Stadt. Weil er im Katalog fehlt, sei dazu hier der Tafeltext zitiert, der in der Ausstellung den letzten Abschnitt zu den nationalen Geschichtsdeutungen im 19./20. Jahrhundert beschließt: „Unter diesen Vorurteilen verblaßte die Erinnerung an die glanzvollen zwanzig Jahre unter König Waldemar, und erst mühsam mußten die Archäologen sie aus dem Dunkel der Geschichte hervorholen. Wir hoffen, es ist uns gelungen!“ Ob dem so ist, müssen die kommenden Jahre zeigen. Doch es ist zumindest vorstellbar, dass die Lübecker Schau eines Tages als frühe Wendemarke im Wandel des allgemeinen Bildes vom nordelbischen Hochmittelalter erscheinen wird.

Anmerkungen :
1 Arnoldi chronica Slavorum, hg. I.M. Lappenberg, MGH SS 21, Hannover 1868; hier nach Doris Mührenberg: „Die Rezeption der Dänenzeit in Mythen und Sagen“, Katalog S.125-131, S.126.
2 So in den Presseveröffentlichungen sowie im Katalog, S.6 und 42.
3 Ibs. Mührenberg (wie Anm.1), S.131.
[4] Hervorgehoben sei auch der Verzicht auf multimediale Mätzchen. Die stattdessen gewählten Popularisierungsformen – die Darstellung der Ereignisgeschichte 1203–27 in Zeitungsstil, die „Rundfunkreportage“ vom Schlachtfeld zu Bornhöved, Installationen wie der Einsalztisch mit Heringstonne (zum Schonenmarkt) und vor allem die in Kinderaugenhöhe angebrachte Parallelerzählung von den Rabenkindern Hugin und Munin, Odins Vögeln, und den Löwenjungen Leo und Lea als ihren lübischen Spielkameraden – sind sicher nachdrücklicher als eine Reihe von Weiterklickbildschirmen.
5 Verwiesen sei hier nur auf Ole Harck / Christian Lübcke (Hgg.): Zwischen Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Stuttgart 2001; Carsten Selch Jensen u.a. (Hgg.): Venderne og Danmark. Et tværfagligt seminar. (Mindre skrifter udgivet af Center for Middelalderstudier, Syddansk Universitet, 20.) Odense 2000.
6 Vgl. Anna-Elisabeth Jensen (red.): Venner og Fjender. Dansk-vendiske forbindelser i vikingetid og tidlig middelalder. Næstved 2002, sowie zahlreiche Ausstellungen und Kleinschriften zum Thema.
7 Ortwin Pelc: „Lübeck unter der Herrschaft Waldemars II. von Dänemark“, Katalog S.45-50, hier S.48 zum Heerzug Ottos IV. 1215.

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